Jahr um Jahr wanderte die Mondin über den Horizont der Weltenscheibe, bis sie das große Meer fand. Ihr aschfahles Licht brach sich funkelnd in den unruhigen Wellen. Sie war neugierig auf die Geschöpfe, die unter der Oberfläche lebten, und wollte ihnen näherkommen. Doch sie wusste, dass sie nicht zu weit sinken durfte, sonst würde sie die Grenze zwischen Himmel und Erde überschreiten und in das Nichts fallen. Also blieb sie auf ihrer Bahn und beobachtete die Schatten und Formen, die sich im Wasser bewegten. Sie fragte sich, ob sie jemals jemanden finden würde, der ihr Gesellschaft leisten könnte. Sie war einsam, und das machte sie traurig. Und so fiel eines Nachts eine einsame Träne aus ihrem Antlitz hinab auf das Meer.
Nun muss man wissen, dass die Tränen der Mondin etwas gar Wunderbares sind:
Sie halten das Geheimnis und die Kraft des Lebens in sich, und jeder Träne ist ein Schicksal vorbehalten, größer als dass es ein Mensch jemals zu verstehen vermag…
Aber lasst mich erzählen, was geschah:
Die Träne fiel durch die schwarze Leere hinab, bis sie auf der Schaumkrone einer tosenden Welle mitten auf dem Meer ihr Schicksal fand. Im Schaum der tosenden Wellen wurde sie zu einer Mondperle, so stürmisch und ungestüm wie das Meer mit dessen Wellen sie tanzen sollte. Sie nahm aber nicht nur das ungestüme Meer in sich auf, sondern auch seine Schönheit, wenn das Licht der Mondin und der Sterne des Nachts funkelnd und glitzernd über die endlosen Weiten dahinjagten.
Und unter dem magischen Licht der Mondin erwachte langsam etwas in der Mondperle zum Leben. Ein Wesen, das so wild und ungestüm wie die schäumende Flut war ,und so bezaubernd und ruhig wie das Licht der Mondin wurde. Es war eine Nixe ,die aus dem Schaum geboren wurde ,und deren Haar wie flüssiges Silber im Wasser schimmerte. Sie öffnete ihre Augen, die wie zwei klare Seen waren, und sah zum ersten Mal die Welt um sich herum. Sie sah den Himmel ,der voller Sterne war ,und spürte die sanfte Brise ,die ihr Gesicht streichelte. Sie sah das Meer ,das ihr Zuhause war ,und hörte das Rauschen der Wellen, das ihr Lied war.
Und sie sah die Mondin, sie sah zu ihr hinauf wie zu ihrer Mutter, und fühlte ihre Liebe, die ihr Leben war.
Sie lächelte glücklich, denn sie wusste: Sie war nicht mehr allein, und das machte sie glücklich. Doch wie Kinder nun einmal sind, die Nixe war neugierig auf die Welt. Sie durchschwamm die Ozeane dieser Welt, spielte mit Delfinen und Vögeln, und dennoch schien ihr etwas zu fehlen:
Denn auch wenn die Mondin jede Nacht lautlos über Ihre Tochter wachte, die Neugier war ihr in die Wiege gelegt. So schwamm an die Oberfläche und betrachtete die Landschaften, die sich vor ihr ausbreiteten. Sie sah grüne Hügel und bunte Blumen, die im Mondlicht leuchteten. Sie sah Tiere, die friedlich schliefen oder munter spielten.
Und dann entdeckte sie Menschen.
Sie lebten in ihren in kleinen Häusern, wohnten in Zelten und fahrenden Kisten, oder tanzten gar um Lagerfeuer. Sie sah Schiffe, wie sie über die Meere, ihre Heimat segelten oder am Ufer ankerten.
Die Nixe war fasziniert von all dem, was sie sah, vor allem von einer Eigenschaft, die sie nicht verstand: Die Menschen gaben nicht nur sich selber, sondern der ganzen Welt Namen, und konnten sich so Geschichten von fremden Ländern erzählen, wie sie die Nixe selber nicht gesehen hatte, denn sie war an den gewesen.
Wie oft war sie als unsichtbarer Geist unter ihnen gewandelt, immer in der Zeit der Mondin, im Schatten der nachthellen Welt, nur um den Geschichten der Fischer und Reisenden aus den fernen Ländern zu lauschen – sie waren spannend und tragisch, lustig und traurig, und … sie fasste sich ans Herz und fragte eines Nachts die Mondin: „Was ist Trauer? Ich habe die Menschen gesehen, wie sie etwas taten, dass sie Trauer nannten“
Die Mondin lächelte fahl und sanft hinab, als sie eine Antwort auf diese Frage suchte: „Das ist etwas, das unsterbliche Wesen der taghellen Welt wohlbekannt ist, da sie dem Lauf der Zeit zu folgen haben. Doch Du, mein Kind, lebst in der nachthellen Welt, …“ Die Nixe sah sich neugierig um: „Ich glaube, du verheimlichst mir etwas, warum darf ich nicht leben, wo ich will… Was bringt mir Unsterblichkeit, wenn ich diese nicht mit Leben füllen kann, und stattdessen bis zum Ende aller Tage niemals das Geheimnis des Lebens erfahren darf?“ Die Mondin verstand, was Ihre Tochter ihr sagen wollte, aber auf diese große Frage gab es nur schwer eine Antwort, denn es ist nun einmal der Unsterblichen Bürde, das Leben niemals ganz zu verstehen. Und Sie wusste, dass es ihrer Tochter aus der nachthellen Welt hinausziehen und dieses ihr kleines Herz brechen wird, wenn sie die volle Tragweite ihrer Entscheidung einst würde verstehen lernen. So antwortete die Mondin nach einiger Zeit mit Bedacht und vorsichtig: „Ach, mein Kind, ich werde immer über dich wachen, was immer die Zeiten für dich an Schicksal dir auferlegen werden – doch manche Entscheidung wird dir überlassen sein, da du einen eigenen Willen hast…. Von daher rate ich dir zur Vorsicht, bei allem was du tust.“
Das reichte der Nixe, sie sah zur Mondin hinauf, und beschloss, sich heimlich unter die Menschen zu mischen und ihre Geheimnisse zu entdecken, wohl wissend, dass sie vorsichtig sein musste, denn nicht alle Menschen waren freundlich zu den Wesen des Meeres: „Dann zeige mir, wie ich die Welt der Menschen entdecken kann!“, sprach Sie zur Mondin, und sie verriet ihr die Mythen und Rieten, mit denen sie als Wesen der Nachthellen Welt für eine Weile unter den sterblichen zu wandeln vermag:
Der Zauber, den die Mondin ihrer Tochter an diesem Abend lehrte, erlaubte, dass sie bei einem Flusslauf des Nachts unter vollem Mondschein, eine Nacht die menschliche Gestalt annehmen kann. Und so geschahen die Dinge die da kommen mussten: Tief im Wald am Flusslauf unter Donnerhall schlug für die Nixe die erste Sekunde eines Lebens, denn sie verließ für kurze Zeit im vollen Mondschein die nachthelle Welt, und spürte, wie die Unsterblichkeit wich, und etwas lebendigen Platz machte, das mit Donnergrollen durch Adern Ihres Körpers rollte, und sie wahr überwältigt…
Sie sah zur Mondin hinauf: “ Das ist ‚Leben‘? “ Die Mondin sah gütig zu ihr hinab: „Ja, das ist das, was die taghelle Welt ‚Leben‘ nennt…“ Die Nixe sah ihre Hände an und an sic hinunter, sie hatte keinen Fischschwanz mehr, sondern blickte stattdessen auf Beine…. „es ist .. Ungluablich,…“, sprach sie, als sie die Hände zu Fäusten ballte, und dann lockerte, und über die Haut ihrer Beine streichelte, „wie oft habe ich Dinge mit den Händen gefühlt, aber das ist anders, ich spüre die Kraft des Lebens zwischen meinen Händen, und in jedem Finger… “ „ja,…“, antwortete die Mondin, „doch diese unglaubliche Macht hat seine Grenzen, weißt du… und sie fordert ihren Preis:
Dieser Zauber ist verwoben mit der Welt meines Bruders, dem mächtigen Tagstern. du wandelst in seiner taghellen Welt, und für dich gelten dieselben Regeln wie für jedes Wesen, das sein Reich zu betreten wagt:
Unter seiner Obhut drehen sich die Räder der Zeit. Langsam aber stetig malen sie das Leben aus Deinem Laib, bis er alt und schwach die Welt verlassen wird, wie alles Leben, das in seine Welt kam. Und wisse, wenn Dein Blut ist rot, das Leben im Zeichen des Tagsterns ist ein Pakt bis zum Ende Deiner Zeit.“
Doch die Nixe verstand die Warnung nicht – sie verstand nicht die tiefe Bedeutung von Zeit und Leben, denn als unsterbliches Wesen ist auch ihr das Wissen verborgen. Und so fragte sie lieber, ob dieser Zauber bedeutet, dass sie die taghelle Welt bereisen kann, wie sie es wünscht. Die Mondin überlegte lange, bevor sie antwortete: „So lange Dein Blut so grün und blau wie die unendlichen Tiefen des Meeres sind, kannst Du jeden Abend an dem Ort, an dem Du mein Reich verlassen hast, zu mir zurückkehren.“
Das langte der Nixe – sie hatte verstanden, dass sie frei war, zwischen den Welten zu wandern. Die Monding und alle Sterne sahen zu, wie sie bereits in der folgenden Nacht zur Dunkelsten Stunde einen kleinen Fluss hinauf schwamm und tief im Wald zum ersten Mal den Zauber webte, um dem Rad der Zeit zu folgen.
Und der Abendstern flüsterte in einer schönen wie unheilvollen Stimme der Mondin zu:
„Das wird kein schönes Ende werden …“
Und die Mondin antwortete in einem traurigen Ton:
„Wer weiß… „