Die plötzliche Verschiebung war wie ein Schlag ins Leere, gefolgt von einem Strudel aus Farben, die ich nie zuvor gesehen hatte. Ein Augenblick zuvor hatte ich noch mit Dr. Steinmeyer über die instabile Energiequelle seines neuesten Projekts diskutiert, und im nächsten Moment fand ich mich auf einem moosbewachsenen Boden unter einem Himmel wieder, der in einem seltsamen Violettton pulsierte. Der Geruch in der Luft war fremd, eine Mischung aus süßen Blüten und etwas Herbem, das ich nicht identifizieren konnte.
Als sich mein Schwindel legte, richtete ich mich auf und sah mich um. Die Bäume hier waren höher und schlanker als alles, was ich von der Erde kannte, mit leuchtend blauen Blättern, die im sanften Wind raschelten. Und dann sah ich sie.
Sie waren überall. Gestalten, die aufrecht gingen, Kleidung trugen und sich unterhielten, aber ihre Gesichter und Körper waren… anders. Ein Eichhörnchen mit einer eleganten Weste diskutierte lebhaft mit einem Bären in einer Latzhose, während ein schlanker Wolf in einem maßgeschneiderten Anzug an einem kleinen Tisch saß und in eine Art Datentablet vertieft war. Meine Anwesenheit schien zunächst kaum jemand zu bemerken. Ein paar neugierige Blicke huschten in meine Richtung, aber dann wandten sich die anthropomorphen Wesen wieder ihren eigenen Angelegenheiten zu. Es war, als wäre ein weiterer Exot in der Stadt aufgetaucht – nicht ungewöhnlich genug, um wirklich Anstoß zu erregen. Nach einer Weile wagte ich es, einen der Passanten anzusprechen. Es war ein großer, freundlich aussehender Hund mit sanften Augen. „Entschuldigen Sie“, begann ich zögernd, „könnten Sie mir sagen, wo ich hier bin?“ Der Hund blickte mich kurz an, seine Ohren zuckten leicht. „In Porthaven, natürlich. Gibt’s ein Problem, Fremder?“ Seine Stimme war tief und ruhig.
„Fremder… ja, das trifft es wohl“, murmelte ich. „Ich bin irgendwie… hierhergekommen. Alles, woran ich mich erinnere ist ein Lichtblitz…“
Der Hund nickte gemächlich. „Klingt verdächtig nach einem Portalunfall, was? Kommt vor, hier landen häufiger mal Fremde auf diesem Weg. Die Forschung in dem Bereich ist halt immer noch etwas… unvorhersehbar.“ Er schien nicht sonderlich überrascht. „Geh am besten zum Wissenschaftszentrum am Marktplatz. Die kümmern sich um solche Fälle.“ Er zeigte mir den Weg, und s stand ich kurze Zeit später vor im Wissenschaftszentrum, einem beeindruckenden Gebäude aus poliertem Stein und leuchtenden Kristallen.
Dort traf ich auf eine Gruppe von Wissenschaftlern, und .. ja… da war eigentlich alles so dabei, wie in einem zeichentrickfilm – Angefangen bei einer weisen Eule mit dieser klischee-erfüllenden dicken Brille, ein übergeschäftiger Hamster in einem Laborkittel, bis hin zu einem achdenklicher Fuchs mit intelligenten, grünen Augen. Alle waren natürlich interessiert, woher ihr neuester Gast kam, und bachdem ich ihnen meine Geschichte so gut wie möglich erklärt hatte – inklusive der vagen Beschreibung eines missglückten Experiments, das plötzliche Gefühl des Fallens, das Erwachen in dieser fremden Welt – hörten sie aufmerksam zu, ohne Anzeichen von Unglauben oder übermäßiger Aufregung.
„Menschen“, sagte die Eule schließlich, ihre Stimme ruhig und bedächtig. „Ja, wir kennen die Aufzeichnungen. Eine Spezies von einer anderen Welt. Es ist lange her, dass wir einen gesehen haben. Offensichtlich …“, alle nickten bestätigend, „… haben wir wohl dorthin ein Portal geöffnet, und dabei kam es zu diesem, nennen wir es interdimensionalen Vorfall.“
„Ihr seid nicht… überrascht?“, fragte ich ungläubig.
Der Hamster kletterte auf einen Stapel Bücher, um mich besser sehen zu können. „Überrascht? Nun, das Multiversum ist ein großer und vielfältiger Ort, mein Freund. Was du beschreibst, ist weit weniger eine Seltenheit, als du jetzt glaubst. Affen sind schließlich bekannt, und ihr… Menschen… nun, ihr reiht euch einfach in diese bunte Mischung mehr oder weniger mit ein. Ich bin eher überrascht, dass du nicht von innen nach außen… AU!“ Der Fuchs schlug ihn mit einem Ellenbogen harsch vom Bücherstapel… „Was mein geschätzter Kollege sagen wollte, war, dass wir überrascht sind, dass dieses Portal funktioniert hat, wie es sollte, wir müssen dich um Geduld bitten, bis wir alle Daten gesichtet haben, und bis dahin … naja schlage ich vor, du schaust dich hier erst einmal ein wenig um, solange es halt dauert.“ Ihre Reaktion war… ernüchternd. Eigentlich war ich jetzt froh, jetzt nicht gleich eine Sensation zu sein, ein einzigartiges Phänomen. Und stattdessen nur ein weiteres exotisches Lebewesen in einer Welt voller exotischer Lebewesen, schien mir jetzt befrendlich, aber damit kann man irgendwie noch leben. Aber wärend des gesamten Gesprächs kam doch langsam das Gefühl auf, in dieser Welt wirklich ganz alleine zu sein… und das ist eigenartig. Naja, die Wissenschaftler erklärten mir, dass ihre Portaltechnologie zwar existierte und funktionierte, aber die genauen Mechanismen und die Möglichkeit einer präzisen Rückreise in meine Dimension noch nicht vollständig verstanden wurden. Was Kollege Hamster jetzt so direkt und bildlich erzählen wollte, war also die eigentliche Sensation: „Es ist eher… ein Glücksspiel“, gab der Fuchs auf den Punkt gebracht letztendlich zu, „Wir können Portale öffnen, aber wohin sie führen und wie stabil sie sind, ist oft unvorhersehbar. Eine geziehlte Rückreise… Nun, das könnte jetzt ein wenig Zeit brauchen.“
Die Realität meiner Situation traf mich mit voller Wucht:
Ich war gestrandet. In einer fremden Welt, in der meine ja, … Version von ‚Menschlichkeit‘ kaum mehr war als eine Fußnote in den Geschichtsbüchern – einerlei. Dass da wieder ein paar Wissenschaftler mit Dingen herumspielen, von denen sie selber keine Ahnung haben, aber das mit viel gutem Willen, ist noch eine andere Geschichte. Wenn man sich auf ein Abenteuer einlässt, und ins Unbekannte zieht, ist man sich irgendwo des Risikos bewusst, ich meine, wenn Astronauten und Wissenschaftler zum Mars fliegen würden, um die erste dauerhafte Marskolonie zu gründen, dann wissen sie, dass der nächste Chirurg oder das notwendige Medikament nicht gerade um die Ecke zu finden ist. Aber einfach „Mal ebenso“ durch ein zufällig geöffnetes Portal zu fallen und sich damit abzufinden, oder zu freuen, ist jetzt eine ganz andere Sache. Die Gemeinschaft dieser Welt zeigte jedoch eine überraschende Großzügigkeit. Da mein Erscheinen offensichtlich ein Unfall war, boten sie mir an, mich in ihrer Welt einzuleben, zumindest vorübergehend. Sie stellten mir eine kleine Unterkunft zur Verfügung und zeigten mir die Stadt Porthaven.
Es war eine wunderschöne Stadt mit geschwungenen Gassen, bunten Häusern und Kanälen, die von kleinen Booten befahren wurden. Die Architektur war einzigartig, eine Mischung aus organischen Formen und filigranen Verzierungen. Überall herrschte ein geschäftiges Treiben, aber es wirkte friedlich und harmonisch.
Während meiner Erkundungstouren begleitete mich oft der Fuchs vom Wissenschaftszentrum. Ihr Name war Lyra. Sie war intelligent, humorvoll und besaß eine natürliche Neugier, die warum auch immer ansteckend war. Wir führten lange Gespräche über unsere Welten, über Wissenschaft, Kunst und die seltsamen Zufälle des Lebens.
Lyra war es auch, die mir Porthaven wirklich zeigte, die versteckten Gassen, die gemütlichen Cafés oder beeindruckende Bibliotheken. Sie erzählte mir von ihrer Kultur, ihren Traditionen und den Herausforderungen, denen sich ihre Gesellschaft stellte. Langsam begann ich, mich in dieser fremden Umgebung etwas wohler zu fühlen.
Zwischen Lyra und mir entwickelte sich eine besondere Verbindung. Ihre grüne Augen strahlten eine Wärme und ein Verständnis aus, das mich berührte. Wir teilten einen ähnlichen Sinn für Humor und eine gemeinsame Faszination für das Unbekannte. Ich genoss ihre Gesellschaft sehr, und ich spürte, dass es ihr ähnlich ging. Wir haben viele Stunden darüber geredet, dass es wohl bald ein Portal geben wird, die beide Welten miteinander verbinden könnten – doch alle Gespräche über meine Heimat oder die Rückkehr waren irgendwie formlos oder schwermütig – und endeten immer in einer gewissen Melancholie.
Eines Abends nahm Lyra mich mit zu einer Lagune etwas außerhalb der Stadt. Das Wasser war still und spiegelte den Himmel wider, der sich langsam in den warmen Farben des Sonnenuntergangs färbte.
Wir saßen schweigend am Ufer, die Füße im kühlen Wasser.
Schließlich durchbrach Lyra die Stille. Sie blickte verträumt auf den Horizont, wo die Sonne gerade dabei war, unterzugehen. „Meine Welt ist vielleicht nicht perfekt,,, “, sagte sie leise, meinen Namen zum ersten Mal aussprechend. „Wir haben unsere Probleme, unsere Ungerechtigkeiten. Aber es ist mein Zuhause. Und ich liebe es.“
Sie wandte ihren Blick mir zu. „Ich kann verstehen, dass du zurück zu deiner Welt willst. Dein Zuhause ist dort. Aber… ich würde mich sehr freuen, wenn du unserer Welt eine Chance geben würdest. Ich denke, wir wissen beide irgendwie, dass es so nicht weitergehen kann“
Ich hatte die ganze Zeit so sehr auf meine eigene Rückkehr fixiert, dass ich kaum die Schönheit und den Charme dieser Welt wirklich wahrgenommen hatte. Und ich hatte die Freundschaft und das Verständnis ignoriert, das mir hier entgegengebracht wurde, besonders von ihr.
Sie stand auf. „Komm“, sagte sie lächelnd. „Lass uns den Sonnenuntergang vom Wasser aus genießen.“ Zögernd folgte ich ihr.
Wir paddelten hinaus auf die ruhige Lagune, die Boards sanft unter uns schaukelnd. Die Farben des Himmels spiegelten sich im Wasser und umhüllten uns in einem warmen, goldenen Licht.
Wir saßen nebeneinander auf unseren Boards, die Füße im Wasser, und blickten schweigend auf den atemberaubenden Sonnenuntergang. In diesem Moment spürte ich zum ersten Mal eine unerwartete Ruhe in mir… Die Sehnsucht nach meiner alten Welt war immer noch da, und wird wohl auch immer ein Teil von mir bleiben, aber sie war nicht mehr so alles bestimmend. Vielleicht hatte Lyra Recht. Vielleicht sollte ich dieser Welt eine Chance geben. Vielleicht lag in diesem unfreiwilligen Abenteuer eine Möglichkeit, etwas Neues zu entdecken, Freundschaften zu schließen und meinen Horizont zu erweitern.
Der Sonnenuntergang malte den Himmel in immer neuen Farben, ein Abschied des Tages und gleichzeitig ein Versprechen für das, was kommen mochte. Und während wir schweigend nebeneinander auf dem Wasser saßen, spürte ich, dass dieser malerische Sonnenuntergang tatsächlich der Beginn eines neuen, unerwarteten Abenteuers sein könnte. Ein Abenteuer in einer Welt voller Wunder, in der ein gestrandeter Mensch einfach seinen Platz finden konnte. Die Ungewissheit war beängstigend, aber gleichzeitig auch aufregend. Die Zukunft lag vor uns, wie die weite, glitzernde Lagune im Schein des untergehenden Tages.
Und trotz allem, war ich nicht allein…