Es war dunkel.
Naja, eigentlich nicht ganz, denn die Mondin schien durch das Fenster, durch das ich hinausblickte. Vergangenheit, Zukunft, alles vermag die Mondin zu erzählen, während sie hell ihre Bahn über das Firmament des Himmels ihrem Weg folgt.
Doch heute war es anders. Ich schaute hinauf in die Schwärze des Firmaments und dachte mir noch, es sei eine wunderschöne Nacht, als ich die Mondin flüstern hörte:
„Warum ist dein Herz so endlos traurig? Warum weint es so?“ Erst dachte ich, ich hätte mich getäuscht, aber dann fragte die Mondin noch ein weiteres mal.
Die Mondin, hoch oben am Himmel, mal blass, mal weiß am Himmel, mal in warmen Farben getaucht, sollte mein kleines Herz gehört haben, wie es vor Trauer weint? Meine Gedanken überschlugen sich.
„Ja“, sprach die Mondin, „Ich habe dich wirklich gesehen. Was macht dich so traurig?“
Ich klagte in diesen einsamen Minuten mein ganzes Leid, was auch immer mein Herz zum Weinen bringt.
Und die Mondin hörte zu.
Dann war Stille.
Einsamkeit.
Unendliche Leere.
Und dann geschah es…
Die Mondin sprach sanft und voller Zuversicht: „Lass mich dir eine Geschichte erzählen…“
Und die Mondin begann zu erzählen:
…
Einst teilten sich die Tiere dieser Erde den Boden gemeinsam. Von dem großen Bären bis hin zur kleinsten Maus lebten sie alle zusammen und waren glücklich. Nur ein Tier war sehr unglücklich: Eine kleine Maus. Was war bei dieser Maus anders? Nun, sie schaute den Vögeln zu, wie sie von dem mächtigen Tagstern, der Sonne, das Fliegen lernten. Und sie war voller Neid. Aber es war nicht dieser Neid, als wenn eine andere Maus mehr Futter besaß, nein, es war der Neid der Sehnsucht. Zu fühlen, wie der Wind fröhlich an ihr vorbei streicht, wenn sie durch die Luft tanzt. sie schaute dem Tagstern zu, wie er den Vögeln das Fliegen lehrte und übte des Nachts heimlich, was sie am Tag zuvor sah. Selbst die Sterne schauten weg, als sie die Maus vom Hang purzeln sah. Einzig die Mondin schaute zu, und war traurig darüber, zu sehen, wie die kleine Maus ihren Traum nicht aufgab. Schließlich lernten die Vögel das Fliegen und verließen die Erde, um in der Höhe ihre Nester zu bauen. Sie lehrten den Kindern, was er, der mächtige Tagstern, ihnen beigebracht hatte und waren von Stund‘ an die Wesen des Windes und der Luft. Die Maus blieb auf der Erde einsam und verlassen zurück. Doch tief in ihrem Herzen gab sie niemals auf. Sie übte und übte, aber es wollte nicht gelingen. Schließlich tat es der Mondin so weh, dass sie das Verbot, mit den Tieren zu sprechen, ignorierte. Sie war schließlich neben dem großen Stern des Nordens das mächtigste Wesen der Nacht am Firmament. Und so entschied sie, zu der Maus zu sprechen: „Was trübt so sehr dein Herz, kleine Maus?“
Die Maus schaute sich ganz erschrocken um: „Wer spricht da?“ Die Mondin begann in warmen rötlich-gelben Farben zu lächeln: „Ich war das, schau nur mutig in den Himmel, kleine Maus.“ Die Maus schaute schüchtern hinauf zur großen Mondin, wie sie hell und schön am Himmel leuchtete und sprach: „Es ist nicht erlaubt, dass ich mit die, oh mächtige Mondin, spreche.“ Die Mondin lächelte sanft, als sie antwortete: „Nun, deshalb spreche ich auch mit dir. Die Sterne hören weg, und der mächtige Tagstern, mein Bruder, die Sonne, schläft. Wer also soll es verraten?“ Die Maus schaute schüchtern hinauf: „Ich bestimmt nicht!“
„Na siehst du“, sprach die Mondin voller Zuversicht, „und ich habe doch dich angesprochen, also was soll dir schon passieren?“ Die Maus überlegte. Ja, was sollte der mächtigen Mondin schon passieren, außer schwach an manchen Tagen neben ihrem Bruder am Himmel zu leuchten? Ihr gehörte der Nacht. Und so klagte sie das Leid ihres Herzens, dass sie wie die Vögel am Himmel den Tag begrüßen möchte. Da sprach die Mondin: „Nun, diesen Wunsch kann ich dir nicht erfüllen. Meinem Bruder gehört der taghelle Himmel. Mir aber gehört die Nacht. Und was ich in dieser Zeit mache, das entscheide ich allein. Selbst der Stern des Nordens darf darüber nicht entscheiden.“ Die Maus schaute hinauf zur Mondin. Sie verstand nicht. Die Mondin lächelte ihr zu, und sprach auf einer Weise, dass es die kleine Maus verstand: „Die Nacht gehört mir ganz alleine. Ich bestimme, wer meine Luft durchkreuzen darf. Die Vögel sind es nicht. Ich habe beschlossen, dass du es sein wirst.“ Die Maus stellte ihre Ohren auf. Da sie nicht glaubte, richtig gehört zu haben, fragte sie halb neugierig, halb voller Vorfreude und Angst schüchtern: „Ich, oh mächtige Mondin? Warum ausgerechnet ich?“
Die Mondin antwortete: „Nun, mein Bruder, die Sonne, nahm die schönsten Wesen der Erde, um ihnen das Fliegen zu lehren. Die Vögel waren voller Freude, die Entscheidung gehört zu haben und steckten ihre Schnäbel in die Höhe. Ich aber sehe den tiefen Wunsch in deinem Herzen, die Sehnsucht, eine neue Welt zu erobern. Warum sollst du, kleine Maus, nicht das Fliegen lernen? Es ist ein Geschenk, dass ich deinem Herzen mache, denn es gab bei allen Schmerzen niemals das Träumen auf. Und glaube mir, ich habe gesehen, wie die anderen Mäuse über den Traum gelacht haben.“
Die Maus war außer sich vor Freude: „Wann lerne ich fliegen? Bitte, ich möchte es so sehr…“ Die Mondin lachte auch eine Weise, wie nur sie es Verstand: „Geduld, kleine Maus, denn alles hat seinen Preis. Willst du nicht vorher wissen, was du dafür bezahlen musst?“ Die Maus schaute in den nächtlichen Himmel zur Mondin empor: „Was gibt es denn, dass es sich nicht lohnt, für den Traum eines Herzens zu bezahlen? Wenn das Herz nur fünf Minuten in ihrem Leben voller Freude tanzen kann, ist es das nicht wert? Ich würde alles bezahlen, selbst mein Leben würde ich geben für einen Augenblick, am Himmel tanzen zu können wie die Vögel, zu spüren, wie die Luft an mir vorbei streicht!“
Die Mondin schaute zu der Maus sanft hinab: „Nun, dein Leben ist es nicht, dass ich verlange. Aber ich sagte dir, mir gehört nur die Nacht. Mehr kann ich dir nicht bieten, als unter mir im Wind zu tanzen. Und das ist der Preis. Wenn du dich für mich entscheidest, sagst du meinem Bruder, dem Tagstern, der Sonne, ein Lebewohl. Er wird dir nicht böse sein, dessen sei dir sicher. Aber du kannst nur auf einer der beiden Seiten stehen, so will es das Gesetz der Sterne. Entscheide dich also nicht zu schnell, denn alles hat seine Konsequenzen.“ Mit diesen Worten verstummte die Mondin. So schaute die Maus zu, wie die Mondin und die Sterne verblassten. Langsam färbte sich das tintige Schwarz des Himmels in ein dunkles blau, und im Norden erschien ein blasser, rötlicher Schimmer. Dieser rötliche Schimmer begann zu brennen und die Sonne, der mächtige Tagstern, erhob sich leuchtend rot über den Horizont. Der Himmel schien in dem Augenblick zu brennen, als die warmen strahlen die Erde berührten und den Tieren ihre erste wärme schenkten. Die Vögel erwachten und begangen, ihre Lieder zu singen. Die Füchse schlichen in der Röte des Morgens umher, Dachse schlichen unter die Erde, um zu schlafen, und das Leben fing von vorne an.
Nur nicht für die Maus. Sie sah zum Himmel hinauf, und irgendetwas wusste tief in ihr, es war das letzte Mal, dass sie die Sonne über den Horizont hat steigen sehen. Und sie spürte den Blick der Sonne, wie sie das Letzte mal auf die Maus hinabblickte. Da hörte sie die Sonne mit dunkler Stimme sprechen: „du möchtest also mich verlassen?“ Die Maus zuckte zusammen: „Nein, also, ich weiß auch nicht, ich möchte nur das Fliegen lernen, …“
Der mächtige Tagstern lächelte, als er sprach: „Das ist nur den Vögeln gestattet zu der Zeit, da der Himmel mir gehört. Es wurde entschieden, und selbst ich kann dieses nicht widerrufen. Aber meine Schwester hat mir von dir erzählt, kleine Maus, und ich beschließe, es ist deine Entscheidung. Niemand wird dir böse sein, wenn du deinem Herzen folgst. Aber wähle gut! Denn du wirst mit deiner Wahl leben müssen.“ mit diesen Worten zog der Tagstern seine stille Bahn am Firmament.
Die Maus sah dem Tagstern zu, wie er über das Firmament zog, und ihm die Vögel folgten, singend, im Wind tanzend, und sie war traurig. Sie verstand jetzt, dass sie entweder ihrem Herzen folgen müsste, oder aber dem Tagstern und ihrer Bestimmung. Beides war nicht möglich. Sie beobachtete den Tagstern, wie er langsam und gemächlich in der rötlichen Glut des Feuers den Boden berührte in der unfassbaren Ferne, und eine einsame Träne viel auf den Boden. Es war der letzte Tag ihres Lebens, aber sie wusste, dass sie ihrem Herzen folgen muss.
Als der Tagstern sich mit einem letzten roten Abendgruß verabschiedete und er Mondin Reich verließ, wusste die Maus, was zu geschehen hatte. Sie wandte sich voller Stolz der Mondin zu und sprach: „Ich werde meinem Herzen und dem Weg der Mondin folgen, bis zum Ende aller Tage!“ Die Mondin lächelte und antwortete, „So sei es.“, und eine einsame Träne der Mondin viel in den Kelch einer Mondblume. Sie sprach abermals: „Trinke den Kelch der Mondblume leer, und lege dich schlafen. Ich werde dich wecken, sobald mein Reich über der Erde herrscht.“ Die Maus nahm die geheimnisvoll silbrig glänzende Träne auf, und trank sie voller Freude in einem Zug. Kaum hatte sie die Träne der Mondin getrunken, überkam sie eine seltsame Müdigkeit. Ihre Glieder wurden schwer und sie legte sich im Schatten einer kleinen Höhle schlafen. Des Tagsterns letzter rötlicher Gruß war am Himmel zu sehen, und sie glaubte zu hören, wie er rief: „Du bist deinem Herzen gefolgt, viel Glück auf deinem Weg…“ , als die Mondin hell und klar am Firmament erschien.
„Und?“, sprach sie sanft, „Hast du etwas bemerkt?“ Die Maus schaute an sich hinab, und bemerkte ihre neuen Flügel. Sie schaute zuerst verwundert, und flatterte voller erstaunen umher. Die Mondin sprach zuversichtlich: „Du weißt, wie es geht, denn das ist mein Geschenk an dich! Nur zu…“. Und mit vor Freude tanzendem Herzen erhob sich erste Fledermaus der Nacht über den Boden, um ihrem Herzen zu folgen, und nicht der Bestimmung eines Lebens.“
…
Die Mondin lächelte mir sanft zu, und mir wurde warm um das Herz. Irgendwie wusste ich, dass sie Recht hat. Ich würde fliegen lernen… und meinem Herzen folgen, wo immer es mich auch hinführt. Ich muss lediglich den Mut finden, mich für mein Herz zu entscheiden.