„Wie ist das eigentlich passiert? Wo bin ich überhaupt?“, dachte Boraida schaute sich um… Das letzte, woran er sich erinnerte, war, ja, eine Art von Ruck oder Stoß und nun war er hier. Das einzige Problem ist: Was war „hier“?
Boraida sah sich noch genauer um…
Ein Wald – Und Nein, er erinnerte sich nicht mehr an diesen Ort. Er fluchte, wahrscheinlich ist ein Ast vom Baum gefallen, und hat ihn getroffen. Und jetzt kann er sich nicht mehr erinnern. Ja genau, das wird es sein! Bloß… was macht man, wenn man in einem dunklen Wald sich plötzlich nicht mehr erinnern kann, woher man kam oder wo man hin wollte? Schließlich kam er zum Schluss, dass er dieses Rätsel wohl jetzt nicht lösen wird und er auf den Sonnenaufgang warten sollte. Jetzt in Panik irgendwo hin zu laufen bedeutet, den Pfad zu verlassen, und das wäre mit Sicherheit falsch. So suchte er sich einen versteckten Ort am Wegesrand, und legte sich schlafen.
Alpträume quälten ihn die kurze Zeit, die er wohl schlief.
Schatten fielen über ihn her, irgendjemand rief etwas, immer wieder war da dieses helle Knacken, Blitzen oder Leuchten! Und dann… Blut! So endlos viel Blut! Boraida schreckte hoch aus dem Alptraum. Etwas hatte ihn GESTOCHEN! Im Traum! So etwas… so etwas gab es doch gar nicht, im Traum hat man niemals Schmerzen, nicht einmal in einem Alptraum, das weiß doch jedes Kind!
Instinktiv schaute sich Boraida die Stelle an, und da war sie, die Stichwunde aus dem grausamen Traum. Er nahm sein Messer in die Hand und schaute sich um. „Wer ist da?!“, rief er wütend, „Wer immer du bist, du
wirst diesen Ort nicht mehr lebend verlassen, du Feigling!“
Niemand antwortete.
Und dennoch: Irgendetwas stimmte hier nicht! Nicht einmal ein Tier schien hier zu sein. Lediglich der frühen Morgenstunden unwirkliches Dämmerlicht und ein toter Wald, sonst nichts. Wieso war ihm das vorhin nicht aufgefallen? Fröstelnd viel sein Blick auf die Klinge, und er bemerkte ein paar Tropfen frisches Blut an ihr. „Das kann doch nicht wahr sein…“ Fassungslos betrachtete er das Messer, und ein kalter Schauer lief ihm den Rücken hinunter. So saß er endlos erscheinende Stunden und wagte nicht, noch einmal ein zu schlafen. Was war geschehen, das er hier an diesem verfluchten Ort gelandet war?
Plötzlich stieg Panik in ihm auf, befahl ihm zu rennen. Egal wohin, Hauptsache weg von hier!
Irgendwann – er wusste nicht wann – kam Nebel auf, und die ersten Sonnestrahlen blitzten durch die ersten Zweige. Er schaute sich um, und fand einen kleinen Pfad, der sich durch den Wald bahnte. Boraida atmete auf. Endlich ein Weg. Wo ein Weg ist, da ist auch ein Haus. Irgendeine andere Seele, welche er nach dem Weg aus diesem Wald fragen könnte. Erleichtert atmete er durch machte sich auf, dieser Schauermär ein Ende zu bereiten.
Stunden vergingen.
Der Weg wandte sich wie eine Schlange durch die sanften Hügel und Täler, immer wieder schien es derselbe Baum am Wegesrand zu sein, wie im Tal zuvor. Kein Tier zu hören, nicht einmal eine Fliege summte ihr Lied.
Nur diese geisterhafte Stille.
Und dann dieser Nebel, der sich in den Bäumen verfangen hatte und seltsame Gestalten bildete …
„Verdammt, das ist bloß ein Wald wie jeder andere, jetzt reiß dich mal zusammen!“ schrie Boraida ärgerlich zu sich selbst. „Nur ein Wald, nichts weiter! Davon hast du schon mehr als einen durchwandert.“ Wie eine Rasierklinge durchschnitt seine Stimme die nebelgeschwängerte Luft, trieb hinaus und wurde verschluckt. Strafend schien die Stille ihm Schelte zu heißen, die Ruhe gestört zu haben.
Schweigend und einsam lief Boraida weiter durch den Wald, hörte nichts als seine eigenen Fußstapfen. Hinter sich sah er, wie die Sonne den Himmel in ein Meer von Purpur färbte und dann verschwand. Die zweite Nacht in dieser unwirklichen Wildnis begann. Bis tief in die Nacht folgte er dem Weg, bis er einfach nicht mehr weiter konnte. Er aß sein letztes Stückchen Brot und trank den letzten Tropfen Wasser, den er noch bei sich hatte. „Auf dich, Tod“, prostete er in die Luft, „Ich wette, du hast mich wohl gefunden!“ Danach legte er sich schlafen, und beschloss, auf den Tod zu warten.
Alpträume schüttelten ihn, …
Da war wieder dieses Donnergrollen, irgend jemand schrie etwas und dann blitzte es, gefolgt von einem sengenden Schmerz in seinem Bein. Von Angst und Panik ergriffen schreckte er hoch. Panisch schaute er nach seinem Bein, doch dort war nur eine Narbe von einer Verletzung, an die er sich nicht erinnerte. Aber der sengende und glühende Schmerz aus dem Traum verfolgte ihn weiter, er traute sich nicht, ein zu schlafen. Stattdessen dachte er nach. Warum hatte er solche Träume? So saß er den Rest der Nacht an einem Baum am Wegesrand und beobachtete, wie der Frühnebel aufzog und die Sonne ankündigte.
DING… DING … DINGDING … ZSCH…
Boraida schaute auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Klingt fast wie das vertraute Hämmern aus einer Schmiede. Aber hier draußen? Mitten in der Wildnis? Vielleicht träumt er ja auch, der Beweis mit dem Schmerz funktioniert ja hier auch nicht. Irgendwo links von ihm, im Wald, war das Geräusch. Boraida dachte nach, sollte er es riskieren, den Weg zu verlassen? Hunger und Durst erleichterten es ihm, eine Antwort zu finden. So schlug er sich in die Büsche, und lief zu dem Geräusch. Ding … Ding … Um ihn schloss sich der Nebel zu einem undurchdringlichen und unheimlich wabernden Wall.
Das Geräusch wurde lauter.
„Hallo? Ist da jemand?“ Boraida bahnte sich seinen Weg durch das unerbittliche Unterholz. „Bitte, ich bin nur ein Wanderer, der sich verlaufen hat!“ Da hörte das Hämmern auf und eine Stimme antwortete: „sind wir das nicht alle?“ Boraida kam näher und sah sich um. Kein Pfad führte zu der Schmiede, sie schien wirklich einsam und verlassen mitten in diesem Wald zu stehen, umgeben von einer undurchdringlich wirkenden Nebelmauer.
„Bitte“, fragte er, „wo ist das nächste Dorf?“ Der Schmied schaute seinen Gast an: „Aber du bist doch
eben erst hier angekommen, warum so viel Eile?“ Mit diesen Worten hämmerte er wieder auf seinem Amboss und führte seine Arbeit fort. DING… DING… „Ich möchte Euch ja wirklich nicht auf die Nerven fallen, aber…“ fing Boraida an, da unterbrach ihn der Schmied knapp: „Ich bin gerade an einer kritischen Stelle!“ und hämmerte dann eine Weile schweigend vor sich hin. Schließlich beträufelte er sein Werk mit Öl und hielt es stolz in die Höhe: „Und? Wie findest du es?“ „Na ja, es ist…“ Boraida suchte nach einem passenden Wort. Das Ding sah aus wie ein zerknittertes Papier oder ein vertrocknetes Blatt. Aber mit Sicherheit nicht wie das Werk eines Meisterschmieds. „Genau!“ sagte der Schmied, „es ist alles, was man braucht.“ Damit legte er den Schmiedehammer beiseite und ging in Richtung Hütte.
„Guter Mann“, fing Boraida an, „ich möchte wirklich nicht unhöflich sein, aber wo ist das nächste Dorf? Ich muss dringend…“ Der Schmied drehte sich plötzlich um und fragte mit eisigem Blick: „Müssen? Gestern Abend hast du gar nichts mehr vor gehabt und jetzt musst du auf einmal wieder?“ Boraida spürte, wie in ihm der Zorn aufstieg: „Pass mal auf, Väterchen, es ist mir völlig egal, wer du bist, aber du sagst mir jetzt sofort wo das nächste Dorf ist, oder…“ „Oder was?“ Der alte Schmied schaute ihn erwartungsvoll an.
Unvermittelt drehte er sich wieder um und kicherte wirr: „Ich weiß, was ich jetzt mache. Ich gehe jetzt einfach erstmal was essen. Ich habe richtig Hunger.“ Boraida stürzte sich von hinten mit gezogenem Messer auf den Schmied und schrie: „Du verdammter Hundesohn, dir zeig ich, was es bedeutet, mich zu veralbern! DU warst es, der mich beobachtet hat und das schon die ganze Zeit! Ich wusste es doch!“ Mit diesen hasserfüllten Worten bohrte sich die Klinge in den Körper des Schmieds. Er riss sich mitsamt dem Messer los. Boraida nahm instinktiv den großen Schmiedehammer und schlug voller Hass nach dem Kopf. Ein Knacken – Nach endlos erscheinenden Sekunden sackte der Schmied langsam und lautlos flüsternd in sich zusammen.
Eine geisterhafte Stille waberte in diesem Augenblick in der Luft, greifbar und doch ohne Substanz. Boraida fröstelte. Irgendwie kam ihm dieses Bild bekannt vor, hatte er das schon einmal erlebt? Natürlich, in seinem Traum! Ein Stich, ein Knacken, Lichtblitze und …
Eiskalt lief ihm der Gedanke den Rücken hinunter.
Eilig durchsuchte er die Hütte des Schmieds, nahm die Lebensmittel an sich, und rannte so schnell er konnte hinaus in den Nebel in Richtung des Weges. Bloß weg von diesem verfluchten Ort! Nach kurzer Zeit fand er den alten Weg wieder und setzte seinen Weg fort. Er drehte sich auf diesem seltsamen Weg nicht einmal mehr um. „Boraida, wo bist du da nur rein geraten?“ Auch dieses Mal antwortete lediglich diese unwirkliche Stille…
Er teilte sich die Verpflegung sorgfältig ein, doch nach endlosen Tagesmärschen neigte auch sie sich dem Ende. Der Weg jedoch schien endlos zu sein. Die Zeit verging nur langsam. Boraida wusste schon lange nicht mehr, wie lange er unterwegs war. Schon vor Tagen war ihm das letzte Wasser und Brot ausgegangen und der trostlose Waldweg lief immer weiter vor sich hin. Tagsüber diese greifbare Stille und des Nachts schüttelten ihn grausame Alpträume. Eine Weile dachte er darüber nach, wer er wirklich war und was er wohl vergessen hatte, als er vor so endlos langen Tagen und Nächten hier mitten im Wald aufgewacht war. Aber nun wurde es ganz allmählich unwichtig, denn nur er war da. Ganz alleine und einsam. Als seine erbeuteten Lebensmittel zur Neige gingen, teilte er sie erneut ein, doch es half nichts.
Gnadenlos schwanden sie dahin und mit ihnen auch seine Hoffnung zu überleben. Am Ende seiner Kräfte sank er auf die Knie und sprach laut: „Tod? Auf ein Neues, das letztes Mal hast du mich ja doch nicht erwischt!“ Mit diesen Worten sackte er kraftlos zusammen und schlief ausgedorrt von Hunger und Durst ein. Früh am Morgen erwachte er, wie immer, von einem grausigen Alptraum geschüttelt. Ein Knacken, ein Donnergrollen, irgendetwas traf ihn und immer wieder das Gesicht des Schmieds. Er kauerte sich voller Panik zusammen unter einem Baum und wartete auf den Sonnenaufgang. „Tod, nimm endlich deine gnädige Hand und erlöse mich!“ klagte er. Er konnte fühlen, wie er den Verstand verlor.
Doch nichts geschah.
Oder doch? Oh er hätte schwören können, dass… – Eine Stimme? Still blieb er sitzen und lauschte. Da kam ihm doch tatsächlich jemand entgegen! Es war eine Frau und sie sang ein Lied. Nun, sie musste von irgendwoher gekommen sein, vielleicht ein Dorf. Sie kann er fragen. Also stand er auf und mühte sich den Weg entlang, ihrer Stimme entgegen. Schließlich, in einem seichten Tal kam sie ihm entgegen.
Sie tanzte und sang.
Als sie Boraida sah, kam sie freudig angelaufen und begrüßte ihn herzlich. „Willkommen Fremder…“, kicherte sie, „hast du dich verlaufen?“ „Nein.. ja… also ich weiß nicht.“ fing Boraida an. Er hatte mit Vielem gerechnet, aber nicht mit dieser Situation hier. „Na, dann komm doch einfach erstmal mit mir mit.“
schlug sie fröhlich vor. „Sehr gerne!“ Boraida war einfach nur glücklich, endlich nach so langer Zeit einen anderen Menschen zu treffen. „Wie ist denn dein Name?“ Sie schaute ihn fröhlich an: „Ich bin Anna.“ So liefen sie gemeinsam den Weg entlang, allerdings zurück durch das Tal, aus dem er gerade kam.
Nach einer Weile fragte Boraida: „Darf ich fragen, wohin wir gehen?“ Sie kicherte fröhlich: „Zum Schmied! Er ist der einzige hier weit und breit, und er wollte mir etwas ganz besonderes schenken.“
Abrupt blieb Boraida stehen.
Selbst wenn sie den langen Weg schaffen würden, der Schmied war doch von ihm erschlagen worden „Anna…,“, fing er vorsichtig an, „findest du nicht, das es etwas weit ist, um einfach mal eben dort hin zu gehen?“ Anna schaute ihn mit einer Mischung aus Unverständnis und Neugier an und deutete auf den sanften Hügel, der vor ihnen lag: „Wieso? das ist doch gleich da oben, links vom Weg.“ Als er ihrer Hand mit den Blicken folgte, hörte er es:
DING… DING… DINGDING…
Er war bis zum Ende seiner Vorräte tagelang gewandert, und jetzt… nein, es muss eine andere Schmiede sein! „Kommst du?“, fragte sie und zog ihn an der Hand weiter. Er ließ sich mitziehen, teilweise aus Neugier, teilweise weil er gar nicht so recht wusste, was er tun sollte. Hatte ihn sonst jemand gesehen? Eigentlich nicht, und das hieße, er könne gleich als unschuldiger Zeuge zufällig auftauchen. Heimlich ließ er das leere Bündel, welches er dem Schmied geklaut hatte, hinter einem Baum verschwinden und ließ sich von ihr mitziehen.
Sie erreichten den Hügel und schlugen sich dort in das Unterholz. Nach ein paar Metern erreichten sie einen kleinen Pfad, welcher sich in Richtung Schmiede schlängelte. Anna kicherte: „viele finden den kleinen Pfad nicht, und bahnen sich einen Weg quer durch das Unterholz.“ Boraida wurde abwechselnd heiß und kalt – irgendwie kannte er den ganzen Ort hier. So wenig kann er doch nicht gewandert sein in all den vielen Tagen!
Schließlich kamen sie um die Ecke und … da stand er, der Schmied!
Anna lies seine Hand los und rannte freudig auf den Schmied zu, um ihn zu begrüßen. „Hallo Anna!“ rief der Schmied und umarmte sie herzlich. Dann blickte er auf und schaute Boraida direkt in die Augen. „Wer ist denn dein Freund?“ „Ach, nur ein Wanderer, der sich verlaufen hat.“ Der Schmied wandte sich Anna wieder zu: „Sind wir das nicht alle?“ Kichernd sagte sie: „Ich glaube, er muss ganz dringend irgendwo hin…“ Der Schmied nahm Anna in den Arm und ging mit ihr zur Hütte. Beiläufig sagte er: „Jetzt gehen wir erst einmal essen, ich habe einen riesigen Hunger. Boraida hingegen war der Hunger in diesem Moment vergangen.
Was zum Teufel war hier los?
Stunden vergingen, und nach einer Weile kam der Schmied aus seiner Hütte und ging direkt zum Schmiedeblock, um seine Arbeit zu beginnen. Boraida saß etwas abseits, und wartete auf Anna. Sie kam nicht. „Schmied?“, fragte er, „Wo ist Anna geblieben?“ Der Schmied antwortete ohne einmal auf zu sehen: „Hier ist niemand.“ Boraida stand auf und meinte genervt: „Das kann nicht sein, ich bin mit Anna den Hügel hier hinauf gekommen.“ Der Schmied legte sein Werkzeug beiseite und schaute ihm direkt in die Augen Dann sprach er fest: „Jüngelchen, behauptest du etwa, dass ich lüge?“ Boraida glaubte zu spüren, wie der Blick ihn zu durchbohren schien, bis tief in die Abgründe seiner eigenen Seele.
Er erwiderte den Blick und fragte standhaft: „Wer bist du?“
Der Schmied taxierte ihn noch einige Sekunden, drehte sich auf einmal um und begann, etwas Eisen in sein
Schmiedefeuer zu legen. „Nur der Schmied.“, meinte er, „Nicht mehr und nicht weniger.“ „Der Schmied?“ – Boraida wurde wütend – „Der Schmied von was?“ Er antwortete nicht, tat so, als ob diese Frage niemals gestellt worden wäre. Boraida ging gerade auf den Schmied zu: „Ich habe eine Frage gestellt, höflich wäre eine Antwort! Der Schmied von WAS bist du?“ Mit diesen Worten packte er den Schmied an der Schulter. Da wirbelte er herum und fixierte Boraida mit einem eiskalten Blick: „Nur der Schmied von dem, was du siehst.“ „Und…“, fing Boraida verärgert an, „was sehe ich?“
Der Schmied fing an zu lachen: „Eine Schmiede, was sonst?“
Boraida schlug ihm mit der Faust so hart ins Gesicht, dass er zu Boden ging und Blut spuckte. „Also, fangen wir noch einmal an, du bist der Schmied von WAS? Ich hätte gerne ein paar Antworten auf meine Fragen, oder…“ „Oder Was?“, der Schmied stand auf und schaute Boraida erwartungsvoll an. Anstatt eine Antwort ab zu warten griff der Schmied mit seinen Tellergroßen Händen nach Boraidas Hals und drückte ihm die Luft weg. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass sich die Geschichte wiederholt oder?“ raunte er grinsend ins Ohr. Boraida spürte wie etwas seine Kehle zuschnürte und die Lungen zu brennen begannen – nach Luft schrien! In Panik griff er nach seinem Messer an der Hüfte und warf es. Er traf das Bein des Schmieds, doch der lachte nur gehässig. „Stock und Stein, brechen mir ein Bein, oh…“ Im Todeskampf trat und schlug er wild um sich, doch die eisernen Pranken des Schmieds hielten ihn wie Zangen fest und pressten gnadenlos das Leben aus seinem Leib. Irgendwann sank endlich dunkelroter Nebel, der den
Blick verschwimmen ließ. Das letzte, das er noch vernahm, war das wirre Lachen des Schmieds.
Dann wurde es dunkel, still und leer.
Boraida saß senkrecht im Gebüsch. Neben ihm lag Anna … und schlief? Er stubbste sie an. „Anna?“, fragte er. Sie räkelte sich und rieb sich dann den Schlaf aus den Augen. „Guten Morgen!“, rief sie fröhlich. Er dachte nach. Immerhin lebte er noch, also schlecht konnte der Morgen schon einmal nicht sein. Aber wie ist er hierhin gekommen? „Hast du mich hierher gebracht?“, fragte er. Sie schaute ihn fragend an: „Ne, wir sind von dahinten gekommen und haben uns hier schlafen gelegt.“ Dann kicherte sie „Und du hast im Traum gesprochen. Ist ja lustig, was du alles geträumt hast.“ Er dachte nach. Na ja, das würde wohl vieles erklären. Wenn ALLE Erlebnisse bis jetzt ein Traum gewesen waren, dann würde es bedeuten, dass…
Er schaute nach den Stichwunden, die er immer im Traum erlitten hat.
Sie waren nicht da. Keine einzige. Also doch ein Traum? Misstrauisch blickte er sich um. Die rötliche
Morgensonne blitzte durch die Zweige und hier und da zwitscherte ein Vogel sein Morgenlied, eine Biene
summte vorbei. Er öffnete seinen Vorratsbeutel. Ja, da waren noch viele Lebensmittel, mehr als genug. Und er hatte Hunger. Es ist als hätte er tagelang nichts gegessen. Naja, dachte er sich, bestimmt alles nur Einbildung, bei einem so echt erscheinenden Traum. „Hast du Hunger, Anna?“ fragte er, als er das Frühstück vorbereitete. „Oh ja“, antwortete sie, „ich könnte ein ganzes Spanferkel verdrücken. Aber Brot wird es auch tun, denke ich.“ Dann kicherte sie.Er dachte nach, was wollten sie hier eigentlich noch,
irgendwie ist es ihm entfallen. Naja, dachte er sich, sie wird es bestimmt wissen. Also fragte er vorsichtig mit einem schiefen Grinsen: „Und was machen wir nach dem Frühstück?“ „Och…“ antwortete sie und warf sich demonstrativ zurück in ihr Bett aus weichem Waldboden zurück, „wie wäre es, wenn wir hier bleiben, und einfach mal rasten? Wir sind ja schließlich nicht seit gestern unterwegs. Und der Schmied läuft uns nicht weg.“ Sie streckte sich genussvoll auf dem weichen Boden und kicherte. Er setzte ein schelmisches Lächeln auf, aber in seiner Kehle spürte er nichts anderes als einen erstickten und
lautlosen Schrei.
Nach dem Frühstück gingen sie gemeinsam einen sanften Hügel hinauf. Jenen, den er schon so oft gesehen hatte im Traum. Nur der Wald war nicht als ewiger Grabhügel dem Tode geweiht, still und eisig, sondern voller Leben. Kaninchen spielten am Wegesrand, Vögel sangen um die Wette und das Stakkato eines Spechts stimmte munter mit ein. Boraida wusste nicht, wo er zuerst hinschauen sollte, so viel gab es zu entdecken und zu sehen. Anna tanzte neben ihm glücklich den Weg hinauf und freute sich über jedes Wesen, welches sie sah. Welch sonniges Gemüt, dachte sich Boraida, so was hatte er noch nie erlebt. Unvermittelt blieb sie stehen und kniete sich dann hin, um mit irgendjemandem zu reden. „Hallo, Herr Hummel“, fing sie an, „Wie ist das werte Wohlbefinden?“, kicherte sie. Boraida schaute ihr neugierig über die Schulter und auf einer Butterblume am Wegesrand saß wirklich eine Hummel und brummte mit den Flügeln. „Ist nicht war, echt?“, staunte Anna, „Und das habt ihr gemacht?“ kicherte sie wieder. „Aber findet ihr das nicht etwas unfair?“ Boraida stubbste sie leicht an: „Was… ähm… was machst du da, Anna?“ „Och,“ meinte sie knapp, „ich hör mir nur den neuesten Klatsch und Tratsch an. Du glaubst ja gar nicht, was seinem Vetter dritten Grades hier in der Nähe passiert ist, BOA…!“ „Öh… ja… also…“, fing Boraida an, „findest du nicht, das es etwas wichtigeres gibt, das wir tun müssen?“
Sie stand auf und schaute ihn mit ihren bleigrauen Augen an.
„Was denn?“, fragte sie neugierig. „Also ich gehe nur zum Schmied, weil du zum Schmied gehen willst.“ „Aber ich dachte, du hast … „, fing sein Protest an, aber irgendwie fand er nicht die richtigen Worte, da er ja alles nur geträumt hatte. Und das hieße, dass Anna eben nicht auf den Weg zum Schmied ist. Wenn er sich doch nur erinnerte, was er tun wollte, verdammt noch eins! „Was hast du denn wichtiges zu tun?“, bohrte sie nach. „Das hast du mir überhaupt noch gar nicht erzählt!“ Er glaubte ein Funkeln in den Tiefen ihrer Augen zu sehen, als sie bemerkte, dass da ein Messer war in seinem Ego, welche sie genussvoll herumdrehen kann. „Naja, …“ sagte er hilflos, „ist so ‚ne Art von Geheimauftrag, da darf ich nicht so reden.“ Sie nahm ihn bei der Hand und zog ihn weiter: „Na denn mal los, Herr Geheimnisträger!“ Schweigsam lief er mit.
DING DIND DING…. DINGDING … ZSCH…
Unheil verkündend dringen die Geräusche der Schmiede durch den Wald. Je mehr sie sich der Schmiede näherten, desto stiller wurde es. Es war, als wenn die Natur und alles Leben respektvoll Abstand hielt vor diesem Ort. Anna zog Boraida gnadenlos in diese eisige Stille. Er lies sich mitziehen. „Komm schon, oder traust du dich nicht?“, flötete sie fröhlich dabei. Er seufzte, dachte nur noch daran, diese schicksalhafte Begegnung hinter sich zu bringen und endlich …ja…wohin eigentlich dann zu gehen?Vielleicht ist diese Schmiede ja wirklich das Einzige, was er im Augenblick noch hat in seinem Leben?
Plötzlich standen sie vor der Abzweigung. Nebel legte sich wie aus dem Nichts über das Land und
die Zeit schien still zu stehen. Nur noch er, Anna und diese verfluchte Schmiede waren da. „Na los jetzt, du Wanderer!“ Anna zog ihn gnadenlos in das Unterholz. Die Dornen ritzten ihn an den Versen und er stolperte mehr als nur einmal. Und dann standen sie vor der Schmiede.
Da stand er, der Schmied.
Doch sein Anblick, Boraida gefror das Blut in den Adern. Ein Auge des Schmieds war rot gefärbt und er hatte Würgemale am Hals! Das Bein war verbunden von einer Stichwunde. Er sah seine beiden Gäste an und sagte nichts. Schaute einfach nur, mehr nicht. Schließlich zerschnitt Anna diese Stille mit ihrer fröhlichen Stille: „Ich habe ihn wiedergefunden, den verlorenen Wanderer. Ist das nicht toll?“ Der Schmied nickte: „Ja, die Träume finden alles.“ Anna kicherte: „Meinst du, er verläuft sich wieder?“ Der Schmied schaute aus seinem blutroten Auge heraus Boraida groß an und zuckte dann mit den Schultern: „Das wird sich zeigen.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und schmiedete weiter.
DING … DING … DINGDING… ZSCH
„Äh… Herr Schmied?“ Der Schmied hob die Hand: „Einen Augenblick, ich bin gerade an einer kritischen
Stelle!“ Anna ließ Boraidas Hand los und lief zum Schmied hin. Der Schmied hielt ein glattes Blatt Metall hoch und Anna fragte: „Und, ist es fertig?“ Der Schmied nickte, und antwortete: „Lass uns was Essen gehen.“
Damit nahm er Anna in den Arm und sie gingen zu der Hütte hinüber.
Boraida blieb alleine zurück, und sah sich um. Auf dem Amboss lag noch das glatte Metallblatt. Neugierig ging er hin und nahm es in die Hand. Seltsame Linien und Figuren waren darauf zu sehen, aber er konnte nichts erkennen. Und dennoch, es war ihm alles bekannt. Fasziniert betrachtete er die Linien.
„Ja, das ist für dich, Jüngelchen…“
Boraida zuckte zusammen, er hatte gar nicht bemerkt, wie der Schmied wieder herausgekommen war. „Wo ist Anna?“, fragte er. „Überall und Nirgends.“ antwortete der Schmied, „Hast du sie nicht erkannt?“ „Du meintest, Träume finden alles… Ist sie das? Ein Traum?“ Boraida schaute den Schmied fragend an. „Sie, Du, Ich… ist das wichtig, wer wessen Traum ist? Du bist hier.“ „Wie bin ich hierher gekommen?“ Der Schmied schaute Boraida aus seinem roten Auge an: „Wie alle, die hierher kommen, wenn sie nicht wissen, wohin sie gehen sollen.“ „Wie oft war ich schon hier?“, fragte Boraida. „Ist das wichtig?“, meinte der Schmied. Boraida runzelte die Stirn… „nicht wirklich“ antwortete er. „Aber woher komme ich? Bin ich tot?“ „Nein“ antwortete der Schmied, „Tot bist du nicht. Andrerseits, was ist schon der Tod, wenn du nicht gelebt hast oder weißt, wo dein Leben ist?“ „Ich möchte nur wissen, wer ich bin, und wie ich nach
Hause zurückkomme.“ „Möchtest du wirklich dein altes Leben zurück?“, fragte der Schmied. „Deswegen bin ich hier, oder? Mein altes Leben ist irgendwie gestorben und ich wusste nicht wohin?“ Der Schmied sagte: „Das weiß ich nicht, warum du hier bist. Du bist aber hier, und das ist die Tatsache.“ Boraida schaute sich das metallene Blatt an, und sah, wie sich feine Linien darauf abzeichneten, in den hellsten Farben glitzerten. „Ich halte hier mein altes Leben in der Hand, oder? Ist es denn besser als der neue Weg?“ Der Schmied zuckte mit seinen Schultern: „Es ist ein neuer Weg. Du kannst alles sein, was immer du willst. Träume leben. Oder wieder dorthin zurück, wo du hergekommen bist.“ „Wie bin ich denn hierher gekommen?“, fragte Boraida. „Nun, du wusstest nicht mehr, wo du sonst hin gehen solltest. Alle kommen dann zu mir.“ „Und wer bist Du, Schmied?“ Statt einer Antwort drückte ihm der Schmied eine kleine Dose in die Hand: „Das hier ist für dich, da sind alle Antworten enthalten die du brauchst. Es ist ein Glücksbringer für die Zukunft.“
Boraida öffnete die Dose und sah sich selbst in einem Spiegel.
Lange Zeit betrachtete er sich selber im Spiegel, bevor er eine Entscheidung traf. Er legte das metallene
Blatt ins Feuer und betrachtete, wie die Linien rot aufglühten und dann verschwanden. Dann sprach er: „ich bin ein Wanderer, der sich verlaufen hat…“ Der Schmied antwortete: „Sind wir das nicht alle? Was suchst du denn, Wanderer?“ Boraida suchte nach einer guten Antwort und sagte nach einer Weile langsam: „Ein neues Leben.“ Der Schmied klopfte ihm auf die Schulter: „Lass uns doch erst einmal was essen, ich habe einen riesigen Hunger…“ Schweigend aßen sie zusammen. Dann fragte der Schmied: „Und, wohin geht die Reise nun?“ Boraida legte das Messer auf den Tisch und lächelte:
„In die Berge, ich habe gehört, dort kann ich auf dem höchsten Gipfel die Sterne pflücken…“
Dir hat diese Geschichte gefallen?
Nun, dann habe ich ein Buchtipp für Dich:
Die Nebelwaldschmiede – Geschichten aus der Anderswelt